Reden ohne zu reden

Die meisten Menschen, die ich kenne, reden sehr gerne. Stille können sie wenig ertragen und füllen diese mit Sätzen, die diese Stille unterbrechen oder überbrücken soll. Da ich im Schweigen gut bin, teste ich manchmal aus, was andere Menschen sagen, wenn ich sie mit meinem Schweigen konfrontiere. Das geht so:

 

Ich stehe (z.B. im Berufsleben) mit einer Kollegin zusammen und schweige. Die Kollegin hat keine Chance, mit einem anderen Kontakt aufzunehmen, nur ich bin dort. Meistens fängt die Person dann an, irgendetwas Belangloses zu sagen, über das Wetter, irgendeine Fernsehsendung oder (besonders beliebt, wie ich feststellte) andere Kollegen. Selten erlebe ich es, dass die andere Person ebenfalls länger schweigt. Um mich irgendwie zu involvieren, stellt sie dann solche Fragen am Ende des Satzes, um sich zu vergewissern: „Nicht wahr?“, „Oder sehe ich das falsch?“, „Ist doch so, oder?“ Oft reden sie auch mit sich selbst, wenn ich nicht reagiere: „Ja, ist doch so“ (als hätte ich etwas erwidert, was ich nicht tat).

 

Es ist ihnen also sehr wichtig, zu reden, Kontakt aufzunehmen und von dem anderen Rückmeldung zu bekommen.

 

Halten wir das so fest.

 

Interessant an all dem ist für mich aber etwas ganz anderes: Es geht bei diesem Reden nicht darum, mit dem anderen wirklich in Kontakt zu kommen; sie interessieren sich gar nicht dafür, was der andere dazu zu sagen hat, es geht ihnen anscheinend nur darum, Stille zu verdrängen. Ich nehme Beispiele aus dem Berufsleben, da ich das privat nicht so extrem erlebe, wobei ich auch aus dem Privaten ein paar Beispiele aufzeigen könnte.

 

Beispiel:

 

Ich rede auch mit anderen. Meistens interessiert mich dann etwas. Zum Beispiel sagt eine Kollegin, dass jemand aus ihrer Familie an einer Krankheit leidet. Ich frage dann: „Wie macht sich diese Krankheit bemerkbar? Welche Symptome gibt es? Ist das heilbar?“ usw. Oder jemand sagt beiläufig, dass er früher in einem anderen Betrieb gearbeitet hat. Dann frage ich: „Wie ist der Ablauf dort? Was hast Du da gemacht?“ Wenn ich diese Fragen stelle, kommen meist interessante Gespräche dabei herum. Aber soweit ich das beobachte, bin ich eine der wenigen Personen, die solche Fragen stellt (und manchmal muss ich aufpassen, dass ich anderen Menschen damit nicht zu nahe trete).

 

Beispiel:

 

Letzte Woche erzählte mir ein Kollege, er habe in Chile gearbeitet. Das interessierte mich. Ich stellte ein paar Fragen, er erzählte mir was dazu. Wenn solche Gespräche zustande kommen, dann begegne ich plötzlich einem Menschen, der seine Fassade fallen lässt, der teils begeistert ist von dem, was er erlebt hat (und mich interessiert vorrangig das hinter der Fassade).

Ich habe beobachtet, wie andere Gespräche führen. Das geht dann so:

 

Person a: „Ich habe mal in Chile gearbeitet.“

Person b: „Aha. Na ja … als ich noch in xy gearbeitet habe, da war es so und so …“

Person a: „Nee, in Chile war das ganz anders, da haben wir ….“

Usw.

 

Person a und Person b sprechen nicht miteinander, sie sprechen über sich aneinander vorbei.

Meistens wird diese Art des Gesprächs irgendwann von einem Part abgebrochen mit:

„So. Jetzt muss ich noch was ausdrucken“ (oder anders).

 

Wenn mir jemand eine Frage stellt, glaube ich oft noch, dass er sich tatsächlich für die Antwort interessiert. Ich bin meistens verblüfft, wenn ich nach wenigen Sekunden merke, dass das nicht der Fall ist. Dann schalte ich wieder ab und gehe in mein Inneres zurück, da gibt es viel anzuschauen.

 

Beispiel:

 

Soweit ich mich erinnere, ging es um das Thema Urlaub, der bei mir bald anstand. Die Kollegin sagte nett foppend: „Nicht, dass Dir noch langweilig wird und Du Dich nach Arbeit sehnst.“

Ich: „Ich habe so viele Interessen, das ist sehr unwahrscheinlich.“

Kollegin: „Was hast Du denn für Interessen?“

Ich: „Ich lese unter anderem sehr gerne, insbesondere Fachbücher, besonders …“

Kollegin (unterbricht mich): „Du, was ich Dir noch erzählen wollte …“

Ich: ??? (meistens muss ich dann dechiffrieren, was gerade los ist und bin etwas perplex)

 

Das habe ich schon öfter erlebt: Sie stellen eine Frage und unterbrechen mich (oder andere) dann, um etwas über sich zu sagen.

Fast so, als hätten sie Angst zu kurz zu kommen. Und vielleicht haben sie das auch oft erlebt. Meine Hypothese ist, dass man sich nur für andere Menschen wirklich interessieren kann, wenn man mit sich selbst gut umgeht, man sich ganz gut fühlt und genug Energie hat. Oder anders: Wenn ich voll bin mit eigenen Themen und es mir schlecht geht, dann habe ich kein Interesse, auf andere einzugehen, dann stehen andere Dinge im Vordergrund. Und das kommt bei mir öfter vor, der Unterschied ist aber, dass ich dann mehr schweige als sonst und die Stille nicht überbrücken muss. Auch dazu habe ich eine Hypothese: Durch das Schweigen kommt man dem inneren Problem näher, durch das Reden wird es weggeredet.

Und ganz allgemein: Reden ist für die meisten Menschen so wichtig, weil sie ein hohes Maß an sozialem Kontakt benötigen.

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