Depressive Phasen

Vor ein paar Tagen hatte ich während einer Arbeitspause ein Gespräch mit einer Kollegin. Woran auch immer es liegt, Menschen erzählen mir von ihren Schwierigkeiten. Oft will ich das gar nicht hören, weil a) der Rahmen nicht passt, um sich ausgiebig zu unterhalten, b) ich selbst genug Kram habe, mit dem ich mich beschäftige und c) es bei den meisten Menschen nur darum geht, zu reden, und ich schnell feststelle, dass sie kein Interesse haben, das Problem anzugehen. Wobei ich mich teils auch unter die Kategorie c) einordnen muss, da es Probleme gibt, die ich nicht ausgehebelt bekomme.

 

Diese Kollegin erzählte mir also von ihren Depressionen. Mir sind starke depressive Phasen aus meiner Vergangenheit bekannt, bis hin zu Suizidgedanken, die immer noch ein großes Tabuthema in der Gesellschaft sind. Interessanterweise teilte sie mir mit, dass sie es schon oft erlebt habe, dass sich Menschen von ihr abwenden, wenn sie hören, dass sie teils so starke Depressionen habe, dass sie tagelang im Bett liege, nicht rede, keinen Kontakt wolle und sich fürchterlich schlecht fühle.

Ich war überrascht, dass sie das erlebt habe, diese Distanz aufgrund von Depressionen. Ich habe darüber nachgedacht.

 

Weshalb distanzieren sich Menschen von jemandem, der Depressionen hat? Liegt es vielleicht daran, dass sie dadurch selbst auf ihre tieftraurigen Persönlichkeitsanteile stoßen? So wie sie mir das schilderte, neigt sie nicht dazu, in diesen Zuständen andere Leute zu kontaktieren. Das heißt: Diejenigen, die mit ihr zu tun hätten, würden diese Phasen womöglich gar nicht mitbekommen, es sei denn, sie würde mit ihnen zusammenleben. Sie distanzieren sich somit von vornherein von diesem Menschen.

 

Sie erzählte mir weiter, dass „Depressionen“ ein Tabuthema sei. Auch das fand ich interessant, ich war immer davon ausgegangen, es wäre eher „Angst“, aber das ist ein privates familiäres Tabuthema bei mir persönlich.

 

Und da ich es mag, Tabuthemen anzusprechen, lege ich mal los:

 

Das, was ich heutzutage von mir kenne, nenne ich nicht „Depressionen“. Ich will es so beschreiben: Es gibt Bereiche in meinem Inneren, die sind so schwarz, dass man, wenn man dort ist, nicht die Hand vor Augen sieht. Dort lebt alles Traurige, Hoffnungslose, Verzweifelte, was ich in meinem Leben verdrängt habe und verdrängen musste. Dies strömt nicht auf mich ein, sondern legt sich temporär wie ein Schatten über alles, was ich sehe, denke, fühle. Und dann ist „Weltuntergangstag“. Dann kommt all das zum Vorschein, was sonst im Verborgenen lebt: Trauer, Angst, Suizidgedanken. Nichts ergibt mehr einen Sinn, alles ist sinnlos. Ich spüre es in meinem Körper: Der Schatten legt sich auf mich und ich spüre keine Kraft mehr in meinem Körper. Alles ist abartig, lästig, ätzend.

 

Hin und wieder habe ich auch Kontakt zu Bereichen, die ich besonders interessant finde: Dort ist alles egal. Ob ich sterbe, lebe, erfolgreich bin, die Welt brennt, irgendetwas funktioniert oder nicht, alles ist egal. Und es gibt die Bereiche, die wütend sind und nicht wissen, wie sie diese Wut gesund fühlen können. Wenn ein Gefühl nicht erlebt werden darf, verdrängen wir es irgendwohin. Diese Wut ist wie eingekerkert. Nicht so wie meine Angst, die mich umgibt wie Wasser. Die Wut in mir sehnt sich nach massiver Selbstzerstörung.

 

Und dann geht es mir sehr schlecht. Ich habe vor einiger Zeit beschlossen, dass diese Gefühle da sein dürfen. Das ist nicht leicht umzusetzen, weil es sich nicht gut anfühlt und ich die Tendenz habe, all das wieder zu verdrängen, wegzuschieben in andere Bereiche in mir. Aber das Verdrängen und Wegschieben hat ja nicht funktioniert, dadurch ist es nicht besser geworden, also versuche ich es mal mit dem Fühlen dieser Gefühle.

 

Ich verlasse damit den gesellschaftlich akzeptablen Rahmen, der bestimmt, was richtig und was falsch ist, was gesund und was krank. Wahrscheinlich ist das Ideal das „Nicht-Fühlen“. Ich werde mich wohl davon verabschieden müssen, ein Ideal zu sein. „Nicht-Fühlen“ ist für mich keine Option mehr.

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