Alkohol

Ich habe beschlossen, ein paar Erlebnisse aus meinem Leben zu erzählen, weil es a) zu meiner Entwicklung gehört und b) es vielleicht Menschen gibt, die ähnliches erlebt haben oder sich gerade in solch einer Situation befinden.

 

Als Jugendliche begann ich aus Verzweiflung Alkohol zu trinken. Nicht nur an Wochenenden oder an freien Tagen, sondern später auch vor der Arbeit. Mein Leben war unerträglich. Ich hielt es nirgends aus und ich wusste nicht, warum. Die Schule war für mich der Horror und ich schwänzte den Unterricht sehr oft und betäubte mich mit Alkohol. Ich wusste zu der Zeit nicht, dass mich jeder zwischenmenschliche Kontakt mehr in Anspruch nahm als andere; dass ich mehr wahr- und aufnahm als andere. Ich wusste aber, dass ich nie – nie meine Ruhe bekam. Immer wollte irgendwer irgendetwas von mir und meine Grenzen wurden überschritten, ich konnte nicht auftanken. Deshalb schwänzte ich die Schule und setzte mich auf einen Friedhof, um endlich mal Ruhe zu haben vor all dem Gerede, den Fragen, den Anforderungen.

 

Ich hielt das alles nicht mehr aus und hatte oft den Gedanken, mich umzubringen.

 

Ich begann eine Ausbildung und stellte fest, dass auch das der absolute Horror war: Eine Ausbildung im Einzelhandelsbereich als Aspie? Nein, danke. Mag sein, dass das welche von euch können, aber für mich ist das der Horror. Zwar habe ich später als Aushilfe in dem Bereich gearbeitet, aber da konnte ich die Stunden selbst bestimmen, das war keine Vollzeitstelle mit „Lehrcharakter“. Eines Tages sagte mein Vorgesetzter zu mir: „Du wirst die nächsten 40 Jahre hier verbringen.“ Das war so, als hätte mir ein Richter lebenslänglich aufgedrückt. Nein! Lieber den Tod als das!

Ich weiß nicht wie viele Faktoren zusammenkommen mussten, bis ich eines Morgens folgende Entscheidung traf: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr! Ich brauche Hilfe!

 

Und da ich wusste, dass vonseiten meiner Eltern keine Hilfe zu erwarten war, nahm ich die Sache selbst in die Hand: Ich sprach sehr offen mit meinem Chef, ich sprach mit meinem Hausarzt usw. Und so war es dann beschlossen: Ich kam in eine Klinik.

 

Es war ein interessanter Moment, in dem ich mich dazu entschied. Es stand mir so klar „wie Kloßbrühe“ vor Augen, dass es nur zwei Wege gab: Entweder so weitermachen und mich irgendwann umbringen, oder den Pfad abbrechen und was anderes versuchen. Es gab keine Diskussion mehr, kein „sich schämen“ ob der angeblichen Schwäche.

 

Das, was mir am meisten geholfen hat, war, dass ich aus meinem Umfeld heraus konnte. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ein klein wenig zur Ruhe zu kommen. Die Therapiestunden, die Beschäftigungsmaßnahmen waren sekundär; wichtig war: Ruhe. Endlich alleine sein.

Das hat teilweise Angst und Trauer ausgelöst, die ich nicht beschreiben kann. Von dem Moment bis jetzt, war ein ewig langer Weg.

 

Manchmal, wenn ich nicht zufrieden bin mit dem, was ich momentan leiste, was ich mache, was ich zustande bringe, dann schaue ich mir den Weg an, der hinter mir liegt: So weit bin ich schon gegangen – durch Alkoholmissbrauch, Selbstgeißelung, Angst, Trauer, Verzweiflung, Hass – dass ich erleichterter darauf blicke, was vor mir liegt, welchen Weg ich gewählt habe.

Es sind Millimeterschritte und doch fühlt es sich an, als hätte ich schon tausend Mal die Erde umkreist.

 

Später habe ich begonnen, mir meine Familie anzuschauen, die unerlösten Dinge, die weitergegebenen Muster. Da fand ich einige, die den Alkohol nutzten, um aus der Realität zu fliehen. Teils Menschen, die durch Alkoholabhängigkeit obdachlos wurden und letztendlich ärmlich verreckten.

 

Nie wieder will ich dahin zurück – zu dem Sumpf, der alles Reale verschwommen macht, und die Tage ungelebt dahin dümpeln. Das ist kein lebenswertes Leben. Ich wünsche allen, die Alkohol missbrauchen oder alkoholabhängig sind, dass sie es schaffen, davon wegzukommen. Ich wünsche euch das sehr.

 

Es ist sehr, sehr schmerzhaft, nicht mehr betäubt zu sein, denn dann taut man auf wie jemand, der zuvor eingefroren war. Das ist ein weiter Weg … und er hat seinen Preis: Wie zuvor leben, das geht dann nicht mehr, und meist sind davon auch Beziehungen betroffen (ich habe einige Menschen kennengelernt, die wieder anfingen zu trinken, weil ihr Partner ebenfalls abhängig vom Alkohol ist). Wie gut, dass es in meinem Leben weitaus weniger Beziehungen gibt und ich sehr gut mit mir alleine sein kann.

 

Als es mir derart schlecht ging (auch schon vorher) hatte ich nicht gewusst, wie wichtig für mich Rückzug und Ruhe sind. Nun weiß ich das. Es ist wie Aufatmen, wie Auftanken, wie das Aufsaugen von Stärke. Und was ich über mich lernte war auch, dass ich in derartigen Krisensituationen zu mir stehe, egal wie viele dagegen reden. Mein Fundament ist stark. Woher das auch immer kommen mag.

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