Unerträglich

Ich arbeite nicht so viele Stunden am Tag wie andere. Meistens 6 Stunden, manchmal 8 Stunden, wenn man meine sonstigen Tätigkeiten wie Schriftstellerei oder meine theoretische Ausbildung nicht dazu rechnet. Ich rechne nun nur mit den Stunden, die ich tatsächlich in sozialer Umgebung mit all dem intersubjektiven Kram verbringen muss. (Ja, muss, denn sonst wäre ich arbeitslos und von meiner Schriftstellerei kann ich (noch) nicht leben)

 

Ich werde Menschen, denen es nicht so ergeht wie mir, wohl niemals verdeutlichen können, was es bedeutet, als Vulkanier unter den Erdenmenschen verweilen zu müssen: Es ist ein Albtraum, die Hölle, ein Fahrschein in die Verzweiflung oder in die Irrenanstalt, wenn man nicht aufpasst und irgendwie lernt, sich zu schützen.

 

Ihre Themen, ihr Reden und ihre Lautstärke sind für mich Folter. Ich betrete morgens um sechs Uhr das Schlachtfeld und halte halbwegs stand, bis die Zeit vorbei ist – und danach muss ich mich versorgen, damit ich nicht aus Verzweiflung von einer Brücke springe.

Ja, ich brauche definitiv eine andere Arbeitsstelle.

Leider gibt es bis dahin nicht die Möglichkeit, ihnen verständlich zu machen, dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Was brächte das? Wenn sie nicht mit mir reden, reden sie doch mit meinem Nebenmann/meiner Nebenfrau, und das ist fast so schlimm wie wenn sie mit mir sprächen. Ich bekomme es ja mit, ich höre es ja, dieses ständige, permanente, sinnlose, penetrante Smalltalken. Es endet nicht.

 

Auf meiner Facebook-Seite hatte ich vor ein paar Tagen geschrieben, dass ich manchmal überlege, mich unbeliebt zu machen, damit mich andere meiden, denn ihr Meiden sei in ihrer Welt eine Strafe und in meiner eine Belohnung oder Wohltat. Einige von jenen, die das kommentiert haben, haben mitgeteilt, dass sie jenen die Wahrheit sagen, damit sie sie in Ruhe lassen. Grundsätzlich sehe ich das genauso: Klartext reden.

 

Aber Klartext führt zu Konsequenzen: Sie lassen einen ja nicht in Ruhe, sie fangen an, hinter Deinem Rücken zu reden, Dich schlecht zu machen, Dich zu foppen. Vor kurzem wurden einige meiner Kollegen von einer Kündigungswelle erfasst. Ich war nicht betroffen, aber ich habe gesehen, wie das gemacht wird: Du bekommst Deine Kündigung und das war’s. Auf Wiedersehen. Du kannst auch mit anwaltlichem Beistand dagegen angehen, dann erhältst Du ein paar hundert Euro Abfindung und bist trotzdem raus. Es interessiert die Leute nicht, wer da rausfliegt. Sozialwahl? Das gibt’s auch nur auf Papier. Wenn Du denen nicht passt, bist Du raus. Egal ob Du gerade krankgeschrieben bist, Kinder hast oder länger dort arbeitest als andere. Eine Rechtfertigung finden sie schon.

 

Und so ähnlich grausam sind die, die ich da kenne, auch mit ihrer penetranten, belästigenden Art: Sie drängen Dir ihren Scheiß auf, obwohl Du Dich überhaupt nicht dafür interessierst und auch kein Interesse heuchelst.

 

Und wenn ich es dann halbwegs ertragen habe, was auf der Arbeit wieder für eine Soziallast an mir ausgelassen wurde, komme ich in meine Wohnung und muss mir bestenfalls den Lärm der Nachbarn gefallen lassen. Da werden die Türen geknallt, lautstarke Gespräche geführt, die Technomusik hochgedreht, damit auch jeder im Umkreis von zwei Kilometern was mitbekommt; abends wird auf dem Balkon gesoffen – in voller Lautstärke rumgelallt – als ob’s jemanden interessiert!

 

Das Einzige, was einigermaßen davon abhält, völlig den Verstand zu verlieren oder was davon abhält, dem Drang nachzugehen, sich den Kopf aufzuschlagen, ist Gehörschutz.

Es bringt alles nichts: Auf längere Sicht brauche ich einen neuen Job und eine andere Wohngegend, doch manchmal habe ich nicht einmal mehr die Kraft, mich darum zu kümmern.

 

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, hätte ich gerne einen einsamen Ort, an den ich mich hin und wieder beamen darf.

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Kommentare: 1
  • #1

    Natalie (Samstag, 22 Juli 2017 21:44)

    Deine Worte tun mir so gut, da ich dich total verstehe. Ich bewundere deine Kraft, das alles auszuhalten. Auf Dauer wird es aber noch schlimmer, du tust dir damit nichts Gutes. Achte auf dich!